„Wir brauchen eine europäische Liga für Banken“

Es ist noch nicht lange her, da war Prof. Axel Weber verantwortlich für den Erfolg einer der größten Banken der Welt. Als Vorsitzender des Verwaltungsrats der UBS Group kennt er die Herausforderungen sehr genau, mit denen ein globales Institut am globalen und europäischen Finanzmarkt zu kämpfen hat. Heute ist Weber unter anderem Vorsitzender des Kuratoriums des House of Finance an der Goethe-Universität. Sein Engagement gilt nun wieder stärker dem Finanzplatz Frankfurt und der Frage, wie Europa auf dem Weg zu einer Banken- und Kapitalmarktunion schneller vorankommt. Zu diesem Thema sprach er zuletzt auch bei der FIRM Mitgliederversammlung.

Herr Weber, Sie kommen aus Zürich zurück an den Finanzplatz Frankfurt. Wie ist Ihr Eindruck?

Frankfurt hat sich in den letzten 10 Jahren als Finanzplatz sehr gut entwickelt. Das steht außer Frage. Im Vergleich zu anderen globalen und europäischen Finanzplätzen gibt es aber noch Luft nach oben. Vor allem der Vergleich zu London und Paris zeigt, dass Frankfurt sich weiterentwickeln muss, um im internationalen Wettbewerb vorne stärker mitzuspielen.

Wo sehen Sie besonderen Entwicklungsbedarf?

Zunächst einmal: Es gibt viele sehr gute Entwicklungen, die Frankfurt schon heute nachhaltig stärken. Ein Beispiel ist, dass gerade im Bereich der Geld- und Finanzwissenschaft – und hier habe ich in meiner neuen Funktion beim House of Finance tiefe Einblicke – in den letzten Jahren wichtige Meilensteine erreicht wurden. Mit SAFE konnte ein Institut für Spitzenforschung in Frankfurt etabliert werden, das Wissenschaftsförderung von der Leibnitz-Gesellschaft erhält und sich vollständig auf den Finanzbereich konzentrieren kann. Das gibt Rückenwind und fördert die Substanz in der Finanzforschung. Woran es nach meiner Einschätzung aber nach wie vor mangelt, ist die politische Unterstützung des Finanzplatzes aus Berlin.

Wie kann Berlin stärker unterstützen?

Der Finanzplatz Frankfurt braucht im Prinzip für jedes Vorhaben, das den Finanzplatz international voranbringt, die Unterstützung der Politik und insbesondere des Bundesfinanzministeriums. Ich halte es daher für unverzichtbar, dass die Expertise Frankfurts in der Geld- und der Finanzwirtschaft in der politischen Entscheidungsfindung gehört werden muss. So kenne ich es aus meiner Zeit am Schweizer Finanzplatz. Als ich Verwaltungsratspräsident der UBS Group war, war meine Präsenz in Bern ein absolutes Muss. Ich wurde zu manchen Strategie-Sitzungen des Bundesrats eingeladen, wir haben über die Wirkung von politischen Maßnahmen auf den Finanzplatz diskutiert. Diese Zusammenarbeit von Politik und Finanzindustrie gilt es in Deutschland deutlich auszubauen.

Aber wird das reichen, um den Finanzplatz zu stärken?

Es ist die zwingende Voraussetzung, dass es auf nationaler Ebene ein klares politisches Bekenntnis zum Finanzplatz gibt. Für Frankfurt ist es zudem absolut entscheidend, globaler und internationaler zu werden und sich einen festen Platz in der globalen Spitzenliga der Finanzzentren zu sichern. Damit will ich nicht sagen, dass Frankfurt provinziell ist. Aber wenn ich mir anschaue, mit welchem Selbstverständnis Paris EUROPLACE in der Welt unterwegs ist – ob sie in Hongkong oder Singapur einen Finanzplatztag organisieren oder in London und New York Präsenz zeigen – wird deutlich, dass Frankfurt hier enorm zulegen muss, um aufzuholen.

Gilt Frankfurt nicht als wichtigster Bankenplatz in Europa?

Ja, das ist Frankfurt zweifellos. Nicht zuletzt deshalb, weil hier viele Aufsichtsbehörden im Bankenbereich angesiedelt sind. Aber wenn Sie fragen, wo der wichtigste Kapitalmarkt in der europäischen Union ist, haben die Franzosen die Nase vorne. Nach dem Brexit des global führenden Londoner Finanzplatzes hat sich der europäische Bankenmarkt neu geordnet und derzeit ist Paris der Gewinner im Wettkampf um den wichtigsten Kapitalmarktplatz. Hier sind die Handelsräume der großen, globalen Banken zu finden. Amsterdam liegt auch sehr gut im Rennen, Frankfurt muss aufholen und sein Potenzial besser nutzen.

Wie sehen Sie generell die Chancen des europäischen Bankenmarkts im internationalen Vergleich?

Ich bin überzeugt, dass wir einen großen Wurf brauchen, um den europäischen Banken- und Kapitalmarkt zukunftsfit zu machen. Kapitalmarktunion und Bankenunion sind die wichtigen Stichworte: Wir müssen stärker in europäischen Dimensionen denken. Hier war in den letzten Jahren kaum ein Fortschritt zu sehen. Es gibt viele Themen, die bremsen. Einlagensicherung und Haftungsverbund sind nur zwei der zahlreichen Beispiele. Wenn wir das Ziel Bankenunion erreichen wollen, müssen wir auf europäischer Ebene im Prinzip eine ähnliche Grundlage legen, wie die Amerikaner mit ihrem National Banking Act im Jahr 1863. Banken müssen das Wahlrecht bekommen, ob sie europaweit oder national aktiv sein wollen.

Was bedeutet das in der Konsequenz?

Wer sich europaweit aufstellt, wird nach einem europäischen Rechts- und Handlungsrahmen beaufsichtigt und ist Mitglied einer europäischen Einlagensicherung und fällt unter ein einheitliches Abwicklungsregime mit europäischen Regeln. Ist eine Bank dagegen nur national aktiv, fällt sie primär in die Zuständigkeit der nationalen Behörden. Es gibt also eine differenzierte Regulierung und Aufsicht gestaffelt nach der Reichweite der Institute, entsprechend dem Subsidiaritätsprinzip. Der Vorteil dieses Wahlrechts: Entscheidet sich eine Bank für den europäischen Ansatz, braucht sie auch nur eine europaweite Banklizenz und eine Plattform für ganz Europa. Heute gilt ja: Wenn eine große Bank in europäischen Ländern Geschäft machen will,braucht sie für jedes Land eine nationale Lizenz und eine Plattform und wird zusätzlich als 28. Regulator von der EZB beaufsichtigt. Das ist sehr aufwändig und teuer.

Der Wettbewerb unter europäischen Banken würde sich dann verstärken.

Ja, im Übrigen auch zum Vorteil für europäische Unternehmen und Kunden, weil mehr Wettbewerb die Kosten von Bankdienstleistungen massiv reduzieren würde. Das muss aber nicht bedeuten, dass wir nun alle nationalen Strukturen über Bord werfen, die historisch gewachsen sind und gut funktionieren. Aber wir müssen endlich dazu übergehen, eine europäische Liga von Banken zu etablieren und den großen Instituten – insbesondere auch den deutschen – eine Wachstumsperspektive bieten.

Birgt das nicht zusätzliche Risiken?

Ich bin auch überzeugt, dass eine solche Europaliga die Risiken sogar deutlich reduzieren würde. Denn wir müssen bedenken, dass es sehr viel komplexer ist, eine europaweit angesiedelte Bank über nationale Aufseher zu überwachen, als sie gesamthaft auf europäischer Ebene zu regulieren. Die großen Krisen der jüngeren Zeit – die Finanzkrise, dann die Pandemie oder der globale Klimaschutz – sind globale Krisen. Die müssen wir auch global, oder zumindest europäisch angehen. Mein Eindruck ist, dass die aktuellen Verwerfungen am Bankenmarkt geradezu eine Aufforderung sind, alle Hebel in Bewegung zu setzten, um die europäische Bankenunion voranzubringen. Deutschland hätte hier die Chance, eine Vorreiterrolle zu übernehmen.

Dieses Interview erschien in der 2. Ausgabe des FIRM Newsletters 2023.


Das Frankfurter Institut für Risikomanagement und Regulierung (FIRM) steht für einen engen Austausch zwischen Banken und Verbänden, Initiativen und Wirtschaftsprüfungsgesellschaften, der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht und dem Land Hessen. Ein Ziel von FIRM ist die Förderung von Lehre und Forschung rund um das Thema Risikomanagement und Regulierung – insbesondere mit Blick auf die Finanzwirtschaft – sowie eine enge Vernetzung. Neue Impulse in der Aus- und Weiterbildung von Risikomanagern setzt FIRM u.a. in Kooperation mit der Goethe Universität.