Den Ausbruch einer Krankheit vor ersten Symptomen abwehren?

Der Blogbeitrag behandelt die Rede von Dr. Christoph Bug, Medizinischer Direktor und Mitglied der Geschäftsführung von Janssen Deutschland, im Rahmen der Pharma MBA Friday Talks Serie. Die Rede konzentriert sich auf das Konzept der Disease Interception, das einen Paradigmenwechsel in der Medizin darstellt. Dr. Bug erläutert, wie Disease Interception einen therapeutischen Eingriff in beginnende pathophysiologische Prozesse ermöglicht, um Krankheiten zu stoppen, bevor sie symptomatisch werden, und diskutiert die Herausforderungen und Chancen dieses Konzepts.

Dr. Christoph Bug, Medizinischer Direktor und Mitglied der Geschäftsführung von Janssen Deutschland, hielt eine hochinteressante Rede in unserer Pharma MBA Friday Talks Serie!

Lässt sich ein Begriff, der dem American Football entstammt, sinnvoll in die Medizin übertragen? Sehr gut sogar, sagte Dr. med. Christoph Bug, Medizinischer Direktor und Mitglied der Geschäftsführung von Janssen Deutschland. Denn ähnlich wie Interception dort für das Abfangen eines Balles stehe, das den Angriff eines Gegners stoppe, bevor dieser punkten könne, bezeichne Disease Interception den therapeutischen Eingriff in beginnende pathophysiologische Prozesse, um eine Krankheit aufzuhalten, bevor diese symptomatisch ausbrechen könne. „Wir glauben, dass das früher möglich wird, als viele denken“. Bug trug diese These im Rahmen der „Friday Talks“ des berufsbegleitenden Studiengangs zum Master of Pharmaceutical Business Administration vor – und stieß damit in einer regen Diskussion auf wohlwollende Skepsis.

Gegenüber der herkömmlichen Vorgehensweise der Medizin – ein Patient zeigt Symptome, ein Arzt stellt eine Diagnose und leitet eine Therapie ein – komme das Konzept der Disease Interception, für dessen Verwirklichung sich seine Firma engagiere, einem Paradigmenwechsel gleich, sagte Bug. Das Konzept setze eine Diagnostik an den Anfang der medizinischen Intervention, die sich auf – nach heutigem Verständnis - gesunde Menschen mit einem sehr hohen Risiko für eine bestimmte Erkrankung fokussiert. Diese könnten durch geeignete Screeningverfahren identifiziert und dann in Monitoringprogramme aufgenommen werden. Anhand von Biomarkern lasse sich bei ihnen eventuell ein schleichender Krankheitsprozess aufdecken, bevor er sich klinisch manifestiert habe. Diese rechtzeitige Entdeckung öffne das Interception Window, ein Zeitfenster, innerhalb dessen das Fortschreiten des noch frühen und deshalb relativ gut behandelbaren Krankheitsprozesses gestoppt, verzögert oder umgekehrt werden könne.

Konzentration auf vier Indikationsgebiete

Biomarker stünden in immer größerer Präzision zur Verfügung und könnten bei manchen Krankheiten viel früher auf den Beginn einer Erkrankung hinweisen als deren erste klinische Symptome, begründete Bug die wissenschaftliche Basis der Disease Interception. Das gelte insbesondere für neurodegenerative und onkologische Erkrankungen. Janssen konzentriere sich in der Disease Interception-Forschung derzeit nicht nur auf die Alzheimersche Krankheit, das asymptomatische multiple Myelom (Smoldering Myeloma) und Darmkrebs, sondern auch auf Typ-I-Diabetes. Beim Smoldering Myelom, einer Vorform des zumeist unheilbaren multiplen Myeloms schädigten die vorhandenen Krebszellen den Körper zwar noch nicht, dennoch sei das Risiko für die bösartige Bluterkrankung stark erhöht. Eine klinische Studie solle nun klären, ob es gelingt, den Ausbruch der Erkrankung mit Medikamenten zu verhindern und die Blutwerte zu normalisieren. Erste Ergebnisse dieser Studien erwarte man nächstes Jahr. „Natürlich wissen wir, dass wir hierbei nach der gängigen Definition gesunde Menschen behandeln“, sagte Bug. Die Therapie müsse also besonders verträglich sein, um ein vertretbares Nutzen-Risiko-Verhältnis zu erzielen.

Frühe Intervention – aber mit was?

Eine besondere Dissonanz des Disease-Interception-Konzeptes zeigt sich freilich im Fall der Alzheimerschen Krankheit.  Es sei bekannt, so Bug, dass es für eine effektive Behandlung zu spät sei, wenn erst einmal kognitive Symptome aufgetreten seien. „Wir wissen also, dass wir früh intervenieren müssen.“ Biomarker seien vorhanden und bestimmbar. „Wenn Sie Amyloid-Beta-Protein im Blut haben, dann ist Ihr Risiko, innerhalb der nächsten 10-15 Jahre an Alzheimer zu erkranken, um ein Vielfaches erhöht.“ Das Einzige, was fehle, fügte er hinzu, sei bisher eine kausale Therapie. Seit der Einführung der symptomlindernden Acetylcholinesterase-Inhibitoren vor fast einem Vierteljahrhundert scheint die Entwicklung von Medikamenten gegen den Morbus Alzheimer auf der Stelle zu treten. Es sei deshalb verständlich, wenn viele Menschen ihr Alzheimer-Risiko gar nicht kennen wollten.

Mehr als nur Prävention

Oft werde er gefragt, ob Disease Interception im Grunde genommen nichts anderes sei als Prävention, sagte Bug. Dem sei nicht so. Denn Prävention ziele ab auf ein generelles, krankheitsunspezifisches Verhalten, um gesund zu bleiben. Sie münde etwa in Empfehlungen, nicht zu rauchen, sich ausgewogen zu ernähren, sich viel zu bewegen und nur in Maßen Alkohol zu trinken. Disease Interception dagegen sei krankheitsspezifisch und hochselektiv, indem sie sich an Menschen mit einem nachgewiesenen Risikoprofil richte, bei denen der Krankheitsprozess bereits begonnen habe, ohne jedoch symptomatisch zu werden. Sie lasse sich deswegen auch nicht mit einer Impfung vergleichen, da durch Disease Interception das symptomatische Stadium einer Krankheit verhindert werden soll, die pathophysiologisch bereits begonnen habe.

Zweifel im Auditorium

Wer werde dieses Konzept aber denn anwenden wollen, fragte ein Zuhörer. Werden Menschen es wirklich akzeptieren, aufgrund eines Laborwertes regelmäßig Medikamente einzunehmen, obwohl sie sich nicht nur gesund fühlen, sondern es nach bisherigen medizinischen Maßstäben auch sind? Er spreche von verschreibungspflichtigen Medikamenten, sagte Bug, so dass die Akzeptanz des Konzeptes stark von der Kompetenz der Ärzte abhänge. Sie müssten die jeweilige Krankheit sehr gut kennen, über validierte Biomarker den beginnenden Krankheitsprozess erkennen und erklären können, welche Chancen und Risiken damit verbunden wären, noch vor Ausbruch von Symptomen medikamentös einzugreifen. Ihre primäre Rolle sei dabei eher die eines Beraters als eines Behandlers. 

Im Auditorium wurden auch Zweifel laut, ob und wann es überhaupt möglich sei, zwischen einem bestimmten Biomarker und einem bestimmten Krankheitsprozess eine kausale Korrelation herzustellen. Laufe man nicht Gefahr, im Nebel zu stochern? Ein erfahrener Arzneimittelentwickler war in diesem Zusammenhang der Meinung, dass Disease Interception nicht mit Medikamenten funktionieren könne, die nur Symptome behandelten. Diese hätten vielmehr den hohen Anspruch kausaler Wirksamkeit zu erfüllen. „Und wenn Sie mit einer Entwicklungssubstanz eine Krankheit verhindern wollen, die vielleicht erst in 15 Jahren ausbricht, wie lange müssen dann die klinischen Studien dauern, um eine Arzneimittelzulassung dafür zu erreichen?“ Bug wies in diesem Zusammenhang nochmal darauf hin, dass validierte Biomarker selbstverständlich eine Grundvoraussetzung seien und es bei Disease Interception immer darum gehe, kausal in den Entstehungsprozess einer Krankheit einzugreifen. Um Studien zum Nachweis des Nutzens von Disease Interception durchführbar zu machen, sei zudem die Frage der Akzeptanz von Surrogatparametern entscheidend.

Plädoyer für einen intensiven Dialog

Dass mit dem Konzept der Disease Interception mehr Fragen als Antworten verknüpft seien, stellte Christoph Bug nicht in Abrede. Die Umsetzung des Konzeptes sei mit Herausforderungen verbunden, die einen intensiven Dialog zwischen allen Stakeholdern des Gesundheitssystems erfordere. Die Politik müsste erkennen, welche Chance Disease Interception biete, um die Gesundheit der Bevölkerung zu verbessern, die Krankenkassen Wege zur Kostenerstattung finden, die Zulassungsbehörden ihr Regelwerk überdenken. Die Ärzte müssten lernen, über die Chancen und Risiken aufzuklären und gegebenenfalls gesunde Menschen rechtzeitig von der Sinnhaftigkeit einer Intervention zu überzeugen, allen potentiellen Patienten wiederum müsste der Zugang zu entsprechenden Programmen und Therapien offenstehen. Die pharmazeutische Industrie schließlich müsse sicherstellen, dass für die Medikamente, die für eine Disease Interception in Frage kommen, eine zuverlässige Begleitdiagnostik verfügbar ist. Genau für diesen Dialog der Stakeholder setze sich Jansen seit rund drei Jahren ein. Als wissenschaftliche Grundlage für die aus Sicht des Unternehmens notwendige gesamtgesellschaftliche Diskussion habe das Unternehmen beispielsweise ein Fachbuch initiiert, in dem Experten aus unterschiedlichen Bereichen des Gesundheitssystems das Konzept der Disease Interception aus ihrer jeweiligen Perspektive bewerten. Das Buch sei in der Schriftenreihe Monitor Versorgungsforschung erschienen und könne auf der Website des Verlags kostenlos heruntergeladen werden (https://www.monitor-versorgungsforschung.de/DI/DI-Buch/view).

Janssen kontinuierlich den Dialog mit möglichst allen Akteuren des Gesundheitssystems, um über die Chancen und Herausforderungen von Disease Interception zu diskutieren und gemeinsam nach Antworten auf die offenen Fragen zu suchen.