Pharma: KI sprengt bisherige Grenzen der Datenanalyse

Künstliche Intelligenz ist der Schlüssel zur effizienten Nutzung großer Datenmengen. Damit beschleunigt sie in der Pharmaindustrie die Entdeckung neuer Wirkstoffe, optimiert klinische Studien und ebnet den Weg zur personalisierten Medizin. Die 12. Jahrestagung des House of Pharma & Healthcare bat eine Plattform zum Meinungsaustausch über aktuelle Gesundheitsthemen. Bettina Resl gibt in ihrem Blogbeitrag Einblicke in den Workshop "Potenziale entfesseln und Verantwortung übernehmen: Erschließung vielversprechender Pharma-Daten mittels Generative und Responsible AI".

Die Pharmaindustrie verfügt über einen enormen Datenschatz aus präklinischen und klinischen Studien, Genomsequenzierung und anderen Quellen. Künstliche Intelligenz (KI) schafft es, diesen Datenschatz in kürzester Zeit zu durchforsten, zu analysieren und zu verarbeiten. Das eröffnet komplett neue Möglichkeiten für die Forschung und Entwicklung.

Um diese Möglichkeiten optimal zu nutzen, hat Novartis 2019 mit Microsoft ein AI Innovation Lab gegründet. Mit mehr als 100 Anwendungen spielt KI bei uns in allen Geschäftsbereichen eine wichtige Rolle. Hier ist ein Überblick, wo wir sie einsetzen:

Wirkstoffentwicklung

KI in der Forschung und Entwicklung ist für Novartis ein unverzichtbares Instrument zur Datengewinnung und Datenanalyse. Sie hilft, die Eigenschaften von Molekülen vorherzusagen, Proteinstrukturen zu analysieren und Muster zu erkennen, die bei der Datenerfassung durch den Menschen unentdeckt bleiben würden. Mit Molekülsimulationen können wir die Wirkung von Präparaten testen, bevor diese in klinische Studien übergeführt werden. Dadurch können wir potenzielle Wirkstoffe rascher identifizieren. Das ist insofern relevant, als dass die Entwicklung eines neuen Medikaments derzeit durchschnittlich mehr als zehn Jahre beansprucht und mehr als 95 Prozent aller Wirkstoffkandidaten in klinischen Studien scheitern. KI kann diese zum Scheitern verurteilten Kandidaten frühzeitig aussortieren und den Fokus auf jene Präparate lenken, die die größten Erfolgschancen haben.

Das ehrgeizige Projekt MELLODDY, an dem auch Novartis beteiligt war, hat gezeigt, wie die Datennutzung durch KI für die Arzneimittelforschung auf ein neues Level gehoben werden kann: Mehrere Pharmaunternehmen haben unter Wahrung der Datenhoheit ihre Daten zur Verfügung gestellt, um KI mit Machine Learning zu trainieren und so das Potenzial von Daten für die Wirkstoffentwicklung zu maximieren.

Kostenminimierung

Der Einsatz von KI birgt ein riesiges Einsparpotenzial. Bei Novartis nutzen wir KI deshalb auch, um Prozesse und Arbeitsweisen zu optimieren und zu automatisieren und dadurch Kosten zu minimieren. Wenn das gelingt, können wir das, was wir uns durch den Einsatz von KI sparen, in die Erforschung und Entwicklung innovativer Medikamente und Therapien reinvestieren.

Klinische Studien

KI führt zur Beschleunigung und Verbesserung von klinischen Studien. Einerseits kann sie durch eine umfassende Analyse von Patientendaten zur Identifizierung von geeigneten Studienteilnehmer:innen beitragen und damit das Auswahlverfahren verkürzen. Andererseits kann sie bei der Datenauswertung, der Erkennung von Mustern und Anomalien unterstützen und somit die Durchführung von klinischen Studien erleichtern.

Diagnosen

Aufgrund der umfassenden Datenanalyse ermöglicht KI genauere, schnellere und besser zugängliche Diagnosen. Novartis und Microsoft haben diesen Vorteil genutzt, um ein KI-betriebenes System zu entwickeln, das Lepra anhand von Fotos krankhafter Hautveränderungen erkennen kann. Damit können Menschen in den entlegensten Orten ihre Haut fotografieren, das Bild in die Cloud laden und von Hautärzt:innen irgendwo auf der Welt mithilfe von KI diagnostizieren lassen.

Therapien

Bei den Therapien fungiert KI als Türöffner zu personalisierter Medizin. Die Analyse von genetischen Informationen ermöglicht es, im Vorfeld individuelle Krankheitsrisiken, Reaktionen auf Medikamente sowie die optimale Dosierung zu identifizieren und Therapien auf Patient:innen zuzuschneidern. Darüber hinaus fördern KI-Tools wie die von Novartis und Tencent entwickelte WeChat-Mini-App AI Nurse für Patient:innen mit Herzinsuffizienz die Patientenbeteiligung und das Patient Empowerment, weil sie Patient:innen mit datenbasierten Empfehlungen dabei unterstützen, informierte Entscheidungen zu treffen.

Ethische Risiken

Dem Potenzial von KI für die Erschließung von Pharmadaten stehen technische und ethische Risiken entgegen, wie mindere Qualität, Datenschutzverletzungen oder die Voreingenommenheit von Algorithmen. Um diesen Risiken zu begegnen, braucht es Rahmenbedingungen. Zurzeit wird auf EU-Ebene der Artificial Intelligence Act verhandelt, mit einer vollanwendbaren Richtlinie ist aber nicht vor 2026 zu rechnen.

Bis dahin müssen Pharmaunternehmen mit gutem Beispiel vorangehen. Novartis hat ethische Richtlinien ausgearbeitet, die einen sicheren, transparenten und verantwortungsvollen Umgang mit KI gewährleisten. Zu unseren Maßnahmen zählt, dass wir bei KI-Anwendungen die Patient:innen informieren, welche personenbezogenen Daten wir für welchen Zweck verwenden, oder dass wir umfassende und repräsentative Daten für die Entwicklung von KI-Algorithmen heranziehen, um Voreingenommenheit auszuschließen. 

Über die Autorin:

Bettina Resl ist Absolventin des Zertifkatsprogramms

Data Science in Health

und mittlerweile auch Dozentin im Programm. Hier lehrt sie zum Thema „Public Affairs – Gesundheit macht Politik: Was hat Gesundheitspolitik mit Gesundheitsdaten zu tun?“.